1894 – Europareisen

1900-12-11, Norddeutscher Lloyd, Bremen, Deckseite Cajüten-Passagierliste
Passagierliste Norddeutscher Lloyd,Bremen von 1900, (C) Peter Schill

Durch ihre deutschen Wurzeln, die Ausbildung von Frederick Gruen in Glashuette/Sachsen und die Geschäftsbeziehungen nach Deutschland und in die Schweiz mussten die Gruens oft nach Europa reisen. Die einzige Möglichkeit hierzu bestand darin, mit dem Schiff den Atlantik zu überqueren. Obwohl bereits 1927 dem berümten Flugpionier Charles Lindbergh die erste alleinige Atlantiküberquerung mit einem Flugzeug von New York nach Paris gelang, dauerte es doch noch bis Mitte der 1930er Jahre, bis eine reguläre Flugverbindung zwischen Europa und den USA aufgebaut wurde. Wegen der geringen Reichweite der Flugzeuge, mussten diese aber anfänglich bei Transatlantikflügen in Neufundland, Irland, Island, Madeira, den Kanaren oder den Azoren zwischenlanden.

Der zunehmende Passagierverkehr zwischen den Kontinenten entfachte den Konkurrenzkampf der Reedereien um die schnellste Altlantiküberquerung. Das jeweils schnellste Schiff auf der Transatlantikroute von Europa nach New York erhielt das sogennante "Blaue Band".

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts dominierten britische und amerikanische Reedereien mit Raddampfern den Markt. Der Fortschritt bei dieser Technologie verkürzte die Fahrtzeit zwischen den Seehäfen Southhampton und New York von 14 bis auf 9 Tage. Das lukrative Geschäft lockte viele Reedereien, die mit neuen Schiffen und neuen Seerouten der Konkurrenz das Geschäft abzujagen versuchten. Neben der deutschen Hapag und dem Norddeutschen Lloyd, kamen weitere amerikanische, britische, französische, niederländische und belgische Reedereien auf den Markt.

1869 schaffte die "City of Brussels" als erster Schraubendampfer die Fahrtzeit auf unter 8 Tage zu drücken. 1897 gewann die "Kaiser Wilhelm der Große" als erstes in Deutschland gebautes Schiff unter deutscher Flagge das Blaue Band und sicherte für die nächsten zehn Jahre die deutsche Vormachtstellung auf diesem Gebiet. Dies war ein Schock für die Konkurrenz, da man das aufstrebende deutsche Kaiserreich zu Recht nicht nur wirtschaftlich als Gefahr betrachtete.
Der Wettlauf um eine immer schnellere Atlantiküberquerung fand seinen unrühmlichen Höhepunkt mit der Jungfernfahrt der britischen RMS Titanic, die beim Versuch einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen im Jahr 1912 mit einem Eisberg kollidierte und 300 Seemeilen südlich von Neufundland unterging. Hierbei kamen mehr als 1500 Menschen ums Leben.[1]

Dietrich Gruen, seine Frau, die Söhne und der ganze Rest der Familie überquerten spätestens nach der Gründung der Firma regelmäßig den Atlantik. Aus den historischen Passagierlisten der New Yorker Einwanderungsstelle auf Ellies Island, kann man die Reisen der Gruens zumindest was die Einreise nach New York angeht, nachvollziehen. [2]

 Passagier Abfahrtsdatum Ankunftsdatum  Schiffsname  Abfahrtshafen  Ankunftshafen
 Dietrich Gruen ?  24.08.1894  Normannia  Hamburg via Southampton  New York
Frederick G. Gruen 09.06.1903 14.06.1903 Cedric Liverpool  New York
Frederick G. Gruen 12.12.1903 20.12.1903 St. Paul Southampton  New York
 Dietrich Gruen 19.06.1904 29.06.1904 Grosser Kurfürst Cherbourg  New York
 Dietrich Gruen 22.07.1905  01.08.1905  Bremen  Bremen  New York
Frederick Gruen, Ms. F. Gruen 06.07.1906 14.07.1906 Kaiserin Auguste Victoria Cherbourg  New York
 Dietrich Gruen 10.09.1907 18.09.1907 Kaiser Wilhelm der Große Bremen via Southampton  New York
 Dietrich Gruen 29.08.1908  04.09.1908  La Provence Le Havre  New York
Frederick Gruen, Louise F. Gruen 08.07.1909 17.07.1909 Amerika Cuxhaven  New York
George J. Gruen, Emily Gruen 17.07.1910 25.07.1910 Prinz Friedrich Wilhelm Southampton  New York
 Dietrich Gruen 23.08.1910  30.08.1910  Kaiser Wilhelm II  Bremen  New York
Frederick G. Gruen 17.05.1911 24.05.1911 Kronprinzessin Cecilie Cherbourg  New York
George J. Gruen, Emily Gruen, George T. Gruen 19.10.1912 25.10.1912 George Washington Bremen  New York
Frederick Gruen, Louise F. Gruen 23.07.1914 29.07.1914 Vaterland  Southampton  New York
Frederick G. Gruen 22.06.1919 30.06.1919 La Lorraine Le Havre New York
George J. Gruen 20.07.1919 28.07.1919 La Lorraine Le Havre New York
George J. Gruen 21.05.1920 30.05.1920 Rotterdam Boulogne-Sur-Mer New York
Frederick G. Gruen 13.04.1921 23.04.1921 Nieuw-Amsterdam Boulogne-Sur-Mer New York
Frederick Gruen, Louise F. Gruen 25.10.1921 04.11.1921 Rotterdam Rotterdam New York
George J. Gruen, Emily Gruen 16.09.1922 26.09.1922 Caronia Hamburg New York
Frederick G. Gruen, Mathilda Gruen, Margaret Gruen 07.08.1923 17.08.1923 Reliance Hamburg New York
Frederick G. Gruen 22.04.1924 28.04.1924 Leviathan Cherbourg  New York
George J. Gruen 14.09.1924 23.09.1924 Muenchen Southampton New York
Frederick G. Gruen 14.05.1927 20.05.1927 Mauretania Cherbourg New York
Frederick G. Gruen 25.06.1929 02.07.1929 Homeric Cherbourg Cherbourg New York
Frederick G. Gruen 03.05.1934 08.05.1934 Bremen Cherbourg New York
Frederick G. Gruen 21.09.1935 26.09.1935 Europa Cherbourg New York
Frederick G. Gruen 01.10.1938 06.10.1938 Europa Cherbourg New York
Frederick G. Gruen, George J. Gruen 22.08.1939 28.08.1939 Bremen Bremen New York

Ihre fast jährlichen Überfahrten nach Europa waren aber nicht nur rein beruflicher Natur. Die Gruens ließen es sich nicht nehmen, immer auch noch einmal bei der Verwandtschaft in Osthofen vorbeizuschauen. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die beruflichen Anlaufpunkte Glashütte in Sachsen und Biel in der Schweiz rund 550 bzw. 380 km von Osthofen entfernt lagen. Auch zu den Seehäfen Bremen, Hamburg oder Cherbourg betrug die Fahrtstrecke mindestens 500 km. Ohne das gut ausgebaute Netz an Fernstraßen von heute und nur mit der Eisenbahn war dies damals eine langwierige und beschwerliche Reise.

2014-07-13 11.58.37
Gästebucheintrag von George Gruen bei den Verwandten Schill in Osthofen vom 7. Mai 1920, (C) Peter Schill

 Die Besuche in Osthofen sind fast vollständig als Gästebucheinträge beim Vetter von Dietrich Gruen, Hr. Kommerzienrat Carl Schill und seiner Familie dokumentiert. Während Dietrich Gruen die Einträge überwiegend in seiner Muttersprache Deutsch verfasste, schrieben seine Söhne Frederick und George meist in Englisch, obwohl einige wenige deutsche Einträge auch belegen, dass sie die Sprache ihrerer Vorfahren durchaus auch beherrschten.

Ab 1903 bis 1912 erfolgten die Besuche fast regelmäßig jedes Jahr, zumeist im Frühjahr. Kriegsbedingt gab es dann eine Pause und die Besuche wurde ab 1920 wieder im Jahresrhythmus fortgeführt. Ab Mitte der 1920er Jahre wurden dann die Besuche seltener und der letzte Eintrag datiert von 1937, was neben den politischen Verhältnissen in Deutschland auch mit der zunehmenderen Komplexität des Geschäfts in den USA und dem Alter der Gruens zusammenhängen dürfte.

Interessant ist auch der Zwiespalt, dem sich die Gruens als deutschstämmige Amerikaner während des ersten Weltkrieges ausgesetzt sahen. Bezeichnend ist der Gästebucheintrag von George Gruen, an seinem ersten Besuch nach dem Krieg in Deutschland: "First visit by one of the enemy before the ratification of the Treaty of Peace but there is peace + happiness between us + the Osthofener friends. Georg J. Gruen, May 7 - 1920, Cincinnati O.USA" (Erster Besuch von einem der Feinde vor der Ratifizierung des Friedensabkommens - aber es gibt Friede und Fröhlichkeit zwischen uns und den Osthofener Freunden. Georg J. Gruen, 7. Mai 1920, Cincinnati/Ohio, USA".

 


[1] N.N.: http://www.wikipedia.org/wiki/Blaues_Band
[2] N.N.: The Statue of Liberty-Ellis Island Foundation Inc, http://www.ellisisland.org