Durch ihre deutschen Wurzeln, die Ausbildung von Frederick Gruen in Glashuette/Sachsen und die Geschäftsbeziehungen nach Deutschland und in die Schweiz mussten die Gruens oft nach Europa reisen. Die einzige Möglichkeit hierzu bestand darin, mit dem Schiff den Atlantik zu überqueren. Obwohl bereits 1927 dem berümten Flugpionier Charles Lindbergh die erste alleinige Atlantiküberquerung mit einem Flugzeug von New York nach Paris gelang, dauerte es doch noch bis Mitte der 1930er Jahre, bis eine reguläre Flugverbindung zwischen Europa und den USA aufgebaut wurde. Wegen der geringen Reichweite der Flugzeuge, mussten diese aber anfänglich bei Transatlantikflügen in Neufundland, Irland, Island, Madeira, den Kanaren oder den Azoren zwischenlanden.
Der zunehmende Passagierverkehr zwischen den Kontinenten entfachte den Konkurrenzkampf der Reedereien um die schnellste Altlantiküberquerung. Das jeweils schnellste Schiff auf der Transatlantikroute von Europa nach New York erhielt das sogennante "Blaue Band".
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts dominierten britische und amerikanische Reedereien mit Raddampfern den Markt. Der Fortschritt bei dieser Technologie verkürzte die Fahrtzeit zwischen den Seehäfen Southhampton und New York von 14 bis auf 9 Tage. Das lukrative Geschäft lockte viele Reedereien, die mit neuen Schiffen und neuen Seerouten der Konkurrenz das Geschäft abzujagen versuchten. Neben der deutschen Hapag und dem Norddeutschen Lloyd, kamen weitere amerikanische, britische, französische, niederländische und belgische Reedereien auf den Markt.
1869 schaffte die "City of Brussels" als erster Schraubendampfer die Fahrtzeit auf unter 8 Tage zu drücken. 1897 gewann die "Kaiser Wilhelm der Große" als erstes in Deutschland gebautes Schiff unter deutscher Flagge das Blaue Band und sicherte für die nächsten zehn Jahre die deutsche Vormachtstellung auf diesem Gebiet. Dies war ein Schock für die Konkurrenz, da man das aufstrebende deutsche Kaiserreich zu Recht nicht nur wirtschaftlich als Gefahr betrachtete. [1]
Dietrich Gruen, seine Frau, die Söhne und der ganze Rest der Familie überquerten spätestens nach der Gründung der Firma regelmäßig den Atlantik. Aus den historischen Passagierlisten der New Yorker Einwanderungsstelle auf Ellies Island, kann man die Reisen der Gruens zumindest was die Einreise nach New York angeht, nachvollziehen. [2]
Passagier | Abfahrtsdatum | Ankunftsdatum | Schiffsname | Abfahrtshafen | Ankunftshafen |
Dietrich Gruen | ? | 24.08.1894 | Normannia | Hamburg via Southampton | New York |
Frederick G. Gruen | 09.06.1903 | 14.06.1903 | Cedric | Liverpool | New York |
Frederick G. Gruen | 12.12.1903 | 20.12.1903 | St. Paul | Southampton | New York |
Dietrich Gruen | 19.06.1904 | 29.06.1904 | Grosser Kurfürst | Cherbourg | New York |
Dietrich Gruen | 22.07.1905 | 01.08.1905 | Bremen | Bremen | New York |
Frederick Gruen, Ms. F. Gruen | 06.07.1906 | 14.07.1906 | Kaiserin Auguste Victoria | Cherbourg | New York |
Dietrich Gruen | 10.09.1907 | 18.09.1907 | Kaiser Wilhelm der Große | Bremen via Southampton | New York |
Dietrich Gruen | 29.08.1908 | 04.09.1908 | La Provence | Le Havre | New York |
Frederick Gruen, Louise F. Gruen | 08.07.1909 | 17.07.1909 | Amerika | Cuxhaven | New York |
George J. Gruen, Emily Gruen | 17.07.1910 | 25.07.1910 | Prinz Friedrich Wilhelm | Southampton | New York |
Dietrich Gruen | 23.08.1910 | 30.08.1910 | Kaiser Wilhelm II | Bremen | New York |
Frederick G. Gruen | 17.05.1911 | 24.05.1911 | Kronprinzessin Cecilie | Cherbourg | New York |
George J. Gruen, Emily Gruen, George T. Gruen | 19.10.1912 | 25.10.1912 | George Washington | Bremen | New York |
Frederick Gruen, Louise F. Gruen | 23.07.1914 | 29.07.1914 | Vaterland | Southampton | New York |
Frederick G. Gruen | 22.06.1919 | 30.06.1919 | La Lorraine | Le Havre | New York |
George J. Gruen | 20.07.1919 | 28.07.1919 | La Lorraine | Le Havre | New York |
George J. Gruen | 21.05.1920 | 30.05.1920 | Rotterdam | Boulogne-Sur-Mer | New York |
Frederick G. Gruen | 13.04.1921 | 23.04.1921 | Nieuw-Amsterdam | Boulogne-Sur-Mer | New York |
Frederick Gruen, Louise F. Gruen | 25.10.1921 | 04.11.1921 | Rotterdam | Rotterdam | New York |
George J. Gruen, Emily Gruen | 16.09.1922 | 26.09.1922 | Caronia | Hamburg | New York |
Frederick G. Gruen, Mathilda Gruen, Margaret Gruen | 07.08.1923 | 17.08.1923 | Reliance | Hamburg | New York |
Frederick G. Gruen | 22.04.1924 | 28.04.1924 | Leviathan | Cherbourg | New York |
George J. Gruen | 14.09.1924 | 23.09.1924 | Muenchen | Southampton | New York |
Frederick G. Gruen | 14.05.1927 | 20.05.1927 | Mauretania | Cherbourg | New York |
Frederick G. Gruen | 25.06.1929 | 02.07.1929 | Homeric Cherbourg | Cherbourg | New York |
Frederick G. Gruen | 03.05.1934 | 08.05.1934 | Bremen | Cherbourg | New York |
Frederick G. Gruen | 21.09.1935 | 26.09.1935 | Europa | Cherbourg | New York |
Frederick G. Gruen | 01.10.1938 | 06.10.1938 | Europa | Cherbourg | New York |
Frederick G. Gruen, George J. Gruen | 22.08.1939 | 28.08.1939 | Bremen | Bremen | New York |
Ihre fast jährlichen Überfahrten nach Europa waren aber nicht nur rein beruflicher Natur. Die Gruens ließen es sich nicht nehmen, immer auch noch einmal bei der Verwandtschaft in Osthofen vorbeizuschauen. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die beruflichen Anlaufpunkte Glashütte in Sachsen und Biel in der Schweiz rund 550 bzw. 380 km von Osthofen entfernt lagen. Auch zu den Seehäfen Bremen, Hamburg oder Cherbourg betrug die Fahrtstrecke mindestens 500 km. Ohne das gut ausgebaute Netz an Fernstraßen von heute und nur mit der Eisenbahn war dies damals eine langwierige und beschwerliche Reise.
Die Besuche in Osthofen sind fast vollständig als Gästebucheinträge beim Vetter von Dietrich Gruen, Hr. Kommerzienrat Carl Schill und seiner Familie dokumentiert. Während Dietrich Gruen die Einträge überwiegend in seiner Muttersprache Deutsch verfasste, schrieben seine Söhne Frederick und George meist in Englisch, obwohl einige wenige deutsche Einträge auch belegen, dass sie die Sprache ihrerer Vorfahren durchaus auch beherrschten.
Ab 1903 bis 1912 erfolgten die Besuche fast regelmäßig jedes Jahr, zumeist im Frühjahr. Kriegsbedingt gab es dann eine Pause und die Besuche wurde ab 1920 wieder im Jahresrhythmus fortgeführt. Ab Mitte der 1920er Jahre wurden dann die Besuche seltener und der letzte Eintrag datiert von 1937, was neben den politischen Verhältnissen in Deutschland auch mit der zunehmenderen Komplexität des Geschäfts in den USA und dem Alter der Gruens zusammenhängen dürfte.
Interessant ist auch der Zwiespalt, dem sich die Gruens als deutschstämmige Amerikaner während des ersten Weltkrieges ausgesetzt sahen. Bezeichnend ist der Gästebucheintrag von George Gruen, an seinem ersten Besuch nach dem Krieg in Deutschland: "First visit by one of the enemy before the ratification of the Treaty of Peace but there is peace + happiness between us + the Osthofener friends. Georg J. Gruen, May 7 - 1920, Cincinnati O.USA" (Erster Besuch von einem der Feinde vor der Ratifizierung des Friedensabkommens - aber es gibt Friede und Fröhlichkeit zwischen uns und den Osthofener Freunden. Georg J. Gruen, 7. Mai 1920, Cincinnati/Ohio, USA".
[1] N.N.: http://www.wikipedia.org/wiki/Blaues_Band
[2] N.N.: The Statue of Liberty-Ellis Island Foundation Inc, http://www.ellisisland.org